28.07.13 – Superzelle mit Großhagel an der schwäb. Alb

Die Trogvorderseite Ende Juli zeigte bereits am 27.07.13 welche Kräfte sie entfesseln konnte. An diesem Tag zog eine isolierte aber sehr gewaltige Superzelle über Teile von Norddeutschland (Gütersloh/Wolfsburg). Dabei kam es zu Großhagel bis ca. 6 cm.
Am Folgetag, dem 28.07., lag die Luftmassengrenze weiter im Süden. Genauer gesagt schwenkte der Trog an diesem Tag auch über den Südwesten. Eine präfrontale Konvergenz lag dabei am Mittag ca. auf Höhe des Schwarzwalds. Hier und speziell südöstlich davon lag eine mit ca. 1 kJ/kg CAPE recht energiereiche Luftmasse, welche mit teilw. über 250 m²/s² (SRH) bzw. 30 m/s (DLS) zusätzlich sehr hohe Scherungswerte aufwies. Dies waren ideale Voraussetzungen für die Bildung von Superzellen (Etwas Theorie zu dieser speziellen Sorte von Gewittern gibts hier: Gewitter – Eine Einführung). Unklar war jedoch wie immer bei solchen Wetterlagen, wo genau diese entstehen und welche Gebiete getroffen würden. Durch die Kombination von Orografie und der Konvergenz rückte an diesem Tag jedoch der Schwarzwald als Gewitterproduzent in den Fokus.

 

Die Konvergenz aktivierte sich am frühen Nachmittag wie erwartet und es entstanden zahlreiche, anfangs jedoch eher schwache Gewitterzellen über dem mittleren und südlichen Schwarzwald. Eine dieser Zellen entwickelte sich nach seiner Bildung etwas nordöstlich von Freiburg jedoch sehr rasch zu einer Superzelle, welche deutlich nach Osten ausscherte und anschließend vom Landkreis Rottweil in Richtung Albkante zog. Akribisch versuchten wir möglichst schnell die Zugbahn der Superzelle zu ermitteln. Dies ist kurz nach der Bildung häufig schwierig, speziell wenn einem Gewitter wie an diesem Tag gleich drei der klassischen „Schienen“ zur Verfügung stehen: Baar-Donauschiene, Baar-Albhochfläche und schließlich der Albtrauf. Aufgrund der Bodenwindfelder spekulierten wir von Anfang an auf den Albtrauf und verlagerten unseren Standort dementsprechend. Die Zelle war zwar noch jung und recht früh in ihrem Entwicklungsstadium, produzierte jedoch bereits hier größeren Hagel. Das folgende Bild zeigt die Zelle zu diesem Zeitpunkt aus einiger Entfernung:

 

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Tatsächlich lenkte die Zelle wie von uns erwartet auf einen NO Kurs ein, welcher sie quasi die Albkante bzw. das Neckartal entlang führte. Der Sturm entwickelte sich dabei zu einem wahren Monster, welches die großen Städte entlang des Neckars zu verwüsten drohte. Als dieses Bild entstand, fiel im Zollernalbkreis bereits größerer Hagel, welcher ernstere Schäden anrichtete:

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Kurz bevor das Gewitter Tübingen erreichte erreichten uns die ersten Meldungen von schweren Zerstörungen und großem Hagel. Durch die dunstige Grundschicht konnten wir dann auch einen ersten Blick auf den niederschlagsfreien Aufwindbereich der Zelle werfen:

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Wir verlagerten unseren Standpunkt nun etwas nach Süden, direkt an den Albtrauf. Auf der Fahrt waren schöne und für eine Superzelle typische Strukturen erkennbar, welche auch die Dynamik der Zelle wiederspiegelten. Um zusätzlich etwas Zeit zu gewinnen, fuhren wir nach Südost und positionierten uns am Aichelberg an der A8. Von dort konnte man die nun wieder weiter weg erscheinende Zelle gut verfolgen. Optisch war bereits eine deutliche zyklonale Rotation des Aufwindes zu erkennen, welcher zu dieser Zeit allerdings aufgrund der größeren Entfernung kaum Struktur aufwies. Der Eisschirm der Zelle war jedoch gewaltig:

 

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Wenig später wurden die Strukturen dann wieder deutlicher. Die Zelle sorgte etwa zu dieser Zeit für große Verwüstungen zwischen Tübingen und Reutlingen (s.u. bei der Schadensanalyse). Das Versorgungsband in den Aufwindbereich hinein (links im Bild) sorgte für stetigen Nachschub an energiereicher Luft:

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Nach und nach zeigte die Zelle ihr wahres Gesicht. Die Dimensionen des Gewitters und seines laminar geschichteten Aufwindtellers waren in der Zwischenzeit wirklich beeindruckend:

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Als das Gewitter weiter Richtung Kirchheim-Teck voran kam, wurden auch die Strukturen an und unterhalb der Zelle immer deutlicher. Der Anblick des niederschlagsfreien Aufwindes und des Abwindbereichs mit Arcus wurde allmählich furchteinflößend und lies auf heftige Begleiterscheinungen schließen:

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Der gründlich schimmernde Niederschlagsbereich deutete auf Hagelschlag hin, was bei einer solch gewaltigen Zelle auch nicht wirklich verwunderlich war. Immer wieder wurde das nun schnell nahende Ungetüm von Blitzen durchzuckt und es wurde ein mehr oder weniger gut wahrnehmbares Dauergrollen hörbar. Beim Blick auf das Radar blieb mir dann schließlich fast die Spucke weg. Eine solche Superzelle, speziell auch was die vertikalen Ausdehnungen angeht – sieht man hierzulande auch nicht alle Tage. Auch weiter nördlich – quasi in direkter Verbindung – hatte sich in der Zwischenzeit ein weiterer, giftiger Zellkern gebildet. Aufgrund der hohen Zuggeschwindigkeit wäre eine Flucht daher nun nur noch nach Süden sinnvoll gewesen. Da dafür jedoch nur die A8 in Frage kam, entschlossen wir uns aus den folgenden zwei Gründen gegen eine Flucht: Zum einen gilt es Hagelschlag auf Autobahnen unbedingt zu meiden, zum anderen wäre nicht sicher gewesen, ob wir es rechtzeitig auch aus der weiter südlich gelegenen Gefahrenzone eines potentiellen Tornados unter dem Aufwindbereich geschafft hätten. Die Zelle wies zudem immer mehr HP-Struktur auf und ein etwaiger Tornado im Süden der Zelle wäre höchstwarscheinlich „rain-wrapped“ gewesen. Dieses Szenario ist der absolute Albtraum eines jeden Sturmjägers. Nachdem das Auto mit dem Heck in den Wind gedreht wurde um Front- und Seitenscheiben während des drohenden Hagelschlags nicht zu verlieren, zeigte der Blick zum Himmel langsam, was bald folgen sollte. Solche Strukturen vor dem Abwindbereich (FFD) sind nicht ungewöhnlich bei kräftigen HP-Superzellen (front-flank-supercell):

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Wie immer ging es ab einem gewissen Zeitpunkt sehr schnell und die Panoramen täuschen etwas, was die Distanz der Zelle angeht! Anfangs setzte starker bis stürmischer Wind ein, der von leichtem, feinen Regen begleitet wurde. Nach kurzer Ruhepause begann es dann urplötzlich zu Hageln. Anfangs fielen sehr große Hagelbrocken mit 4-6 cm, vereinzelt vermutlich auch 7 cm vom Himmel. Durch den wieder einsetzenden stürmischen Wind handelte es sich dabei um wahre Geschosse. Die Aufschläge auf dem Auto waren massiv und wir rechneten im Grunde damit, dass sich mindestens die Heckscheibe verabschieden würde. Glücklicherweise fielen kurzer Zeit „nur noch“ etwas kleinere Körner mit 3-5 cm. Diese prasselten aber eine ganze Weile vom Himmel, sodass größere Hagelmengen zusammen kamen. Es folgten noch ca. 10 Minuten Starkregen, wonach der Himmel langsam wieder heller wurde. Das folgende Video zeigt den Aufzug der Zelle als Zeitraffer und den Durchgang mit dem Großhagel aus zwei perspektiven:

Die Scheiben des Autos hielten wundersamerweise dem Beschuss stand – das Blech und der Lack jedoch nicht. Aufgrund des massiven Hagelschlags war sofort klar, dass die Schäden durch diese sehr langlebige Superzelle enorm sein mussten. Immerhin war diese schon einige Zeit unterwegs und zeigte auch nach wie vor optisch und auf dem Radar keinerlei Auflösungserscheinungen. Wir schauten kurz nach dem Rechten und sammelten etwas Hagel ein. Durch den starken Regen schmolzen die Schlossen zwar ab, sie wiesen jedoch immer noch beeindruckende Maße auf:

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Der Rückweg in Richtung Tübingen gestaltete sich nicht ganz einfach. Die Fahrbahn auf der Autobahnauffahrt war teilweise mehrere Zentimeter hoch mit Laub und abgeschlagenen Ästen bedeckt:

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Auf der A8 selbst standen sehr viele Fahrzeuge mit zerstörten Scheiben auf dem Seitenstreifen. Das Zählen gab ich irgendwann auf. Auf dem Rückweg passierten wir den Ort Grafenberg bei Reutlingen. Hier hatte das Unwetter besonders hart zugeschlagen. Quasi alle Fahrzeuge hatten schwere Hagelschäden, die meisten davon inkl. eingeschlagener Scheiben. Viele Hausfassaden wurden beschädigt und ebenfalls viele Hausdächer wiesen ernste Schäden durch zerschlagene Dachziegel auf. Auch Straßenlaternen, Ampeln, Solaranlagen und sogar Photovoltaikanlagen wurden durch den Hagel in Mitleidenschaft gezogen. Einige bedrückende Eindrücke aus Grafenberg zeigen die folgenden Bilder:

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Auch Metzingen lag in der Zugbahn des Hagelunwetters. Autos, Gebäude und Landwirtschaft wurden hier ebenfalls schwer getroffen:

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In Reutlingen selbst sah es ebenfalls richtig übel aus! Hier schien speziell auch der Wind deutlich stärker gewesen zu sein, als an unserem Standort. Durch die Mischung aus Wind und Hagel wurde teilweise sogar die Rinde von Bäumen (Platanen) geschält. Weitere Bilder aus Reutlingen zeigt eine Fotostrecke des Schwäbischen Tagblatts (s. am Ende des Artikels):

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Auf der weiteren Fahrt zeigte sich auch, dass die südlichen Teilorte von Tübingen hart getroffen wurden. Der Aufwindbereich ging hier ebenfalls direkt am Albtrauf entlang und der größte Hagel geht tendeziell an der Grenze zwischen Auf- und Abwind nieder. Neben der Landwirtschaft, welche vermutlich viele Totalausfälle zu beklagen haben dürfte, wiesen auch hier viele Autos und Häuser massive Schäden auf:

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Am Abend waren wir dann schließlich noch in Rommelsbach, einem Teilort von Reutlingen. Auch hier schlug die Superzelle mit enormer Wucht zu. Die Autos und Häuser sahen teilweise extrem mitgenommen aus. Knapp 5 Stunden nach Durchgang fanden wir hier auch noch Hagelschlossen mit Durchmessern bis knapp 6 cm:

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Der Gesamtschaden lässt sich derzeit noch nicht wirklich abschätzen, dürfte aber extrem hoch liegen. Die Zelle entstand im Schwarzwald, zog quasi den ganzen Albtrauf entlang nach Bayern hinein bis fast an die tschechische Grenze und sorgte auch auf der gesamten Strecke von knapp 350 Kilometern für Schäden. Die Schneise der Verwüstung war teilweise über 10 km breit, was für Hagelschlag bereits sehr viel ist.
Hoffentlich können die verursachten Schäden schnell behoben werden. Den Betroffenen wünsche ich an dieser Stelle viel Kraft und ein hoffentlich kulantes Verhalten der Versicherungen.
Auf der folgenden Radaranimation des schweizer Niederschlagsradars (www.metradar.ch) ist die Zelle zwischen Reutlingen und Kirchheim-Teck zu sehen: Radarloop

##### UPDATE #####

Grobe Schätzungen gehen von einem Schaden von über 200 Mio. € aus.
Eine beeindruckende Fotostecke mit vielen Bildern von Schäden aus Tübingen und Reutlingen findet sich beim Schwäbischen Tagblatt.
Auch viele weitere Medienberichte sind beim Schwäbischen Tagblatt (unten: Siehe auch) zu finden: Artikel.

##### UPDATE 2 #####

Neue Schätzungen gehen vom zweitschlimmsten Hagelereignis Deutschlands der neueren Geschichte aus (nach dem Münchner Hagelunwetter ’84). Die Schäden könnten sich durchaus im Rahmen einer halben Mrd. EUR bewegen:

SWR

##### UPDATE 3 #####

Die folgende Karte, die mir freundlicherweise von bllitzortung.org zur Verfügung gestellt wurde, zeigt anhand der registrierten Blitze den Verlauf und die Zugbahn der gewaltigen Zelle vom Schwarzwald bis nach Tschechien:

MyBlitzortungStrikeMap

Quelle: (C) blitzortung.org

##### UPDATE 4 #####

Die Schäden, die von dieser einen Gewitterzelle verursacht worden sind, werden abschließend auf 2 bis 3 Mrd. EUR geschätzt. Damit ist es das teuerste und verheerenste Hagelunwetter der neueren deutschen Geschichte. Auch international/weltweit rangiert der 28.07. recht weit vorne, was die Schadenssumme angeht.
In eigener Sache weise ich darauf hin, dass in manchen Berichterstattungen erwähnt wird, am 28.07.13 sei das größte bisher dokumentierte Hagelkorn mit 14 cm Durchmesser gefunden worden. Das stimmt allerdings nicht; besagtes Ereignis fand am 06.08.13 statt (s. Bericht dazu hier).